1996: Mit dem Hexagon nach Lissabon
Wie kommt man dazu, im reifen Alter von inzwischen 58 Jahren, in 25 Monaten
40.000 km mit dem Roller zu fahren? Es fing ganz harmlos an. Als der Wunsch nach
einem motorisierten Zweirad immer stärker wurde, galt es eine Konfrontation mit
der besseren Hälfte zu vermeiden. Und was ist unverfänglicher als ein braver
Fünfziger Roller. Für die ganze Familie wurde ein Peugeot SV 50 angeschafft.
Aber weder Frau noch Töchter machten damit mehr als eine kurze Probefahrt. Für
mich war der Einstieg geschafft und fortan wurde während der Arbeit (als
selbständiger Handwerksmeister) und in der Freizeit jede nur mögliche Fahrt
mit dem Roller unternommen. Der Rollervirus hatte mich infiziert. Nach einem
guten halben Jahr konnte ich, ohne daß der Haussegen schiefhing, den Fünfziger
gegen eine Hexagon 150 austauschen. Jetzt ging die Post ab! Solo und mit Sozia
wurden neben den Arbeitseinsätzen Touren in die nähere und weitere Umgebung
unternommen. Ein Leben ohne Roller war weder für mich noch für meine Frau
vorstellbar. Als dann der Sommerurlaub 96 anstand gab es keine Diskussion. Wohl
über das Reiseziel. Ich dachte an Mosel, Rhein, Schwarzwald, während meine
Frau meinte, das sei etwas für Rentner. Sie hatte sich Lissabon in den Kopf
gesetzt. Als ich mit und mit merkte, daß ihr das wirklich ernst gemeint war,
habe ich mich ihrer Entscheidung „unterworfen“. Wie war das bei nur zwei zur
Verfügung stehenden Wochen zu realisieren? Es ging nur mit dem Autoreisezug!
Wir fuhren nachmittags gen Düsseldorf und waren am nächsten Morgen frisch und
munter in Biarritz. Von dort ging es nach San Sebastian, über die Pyrenäen
nach Burgos, durch die spanische Hochebene über Valladolid, Salamanca und
Badajoz nach Portugal. Die Hitze war mörderisch. Bei 38 Grad im Schatten war es
in der Sonne einfach nicht mehr auszuhalten. Als wir dann über die große
Tejo-Brücke nach Lissabon reinrollerten hätten wir vor Freude weinen können.
Wir hatten uns ein Luxushotel verdient! Mit Klimaanlage, Garage, flauschigen
Bademänteln und einem Pagen, der den Givi-Koffer schleppte. Nach zwei Tagen in
dieser faszinierenden Weltstadt ging es dann an der portugiesischen Küste
entlang Richtung Norden über Porto wieder nach Spanien. Kurz hinter der Grenze
auf der Autobahn heulte der Motor auf und der Vortrieb blieb aus: Antriebsriemen
gerissen. Jetzt war Schieben angesagt. Der Chef einer kleinen Piaggio-Werkstatt
in Porriño hat dann in rührendem Eifer zunächst den Hexagon an der
Autobahn-Abfahrt geöffnet, sich den Schaden besehen und versprochen, mit einem
neuen Riemen zurückzukommen. Nach zwei Stunden kam er auf einer alten Vespa,
ein Auto besaß er nicht, mit dem neuen „Correo“ und machte uns wieder
flott. Dann kam die Überraschung. Er wollte nur den Keilriemen bezahlt haben,
es sei ihm eine Ehre, uns geholfen zu haben. Zwei Fläschchen Bier in der nahen
Kneipe nahm er dann als Arbeitslohn an.
Die weitere Rückreise entlang der spanischen Atlantikküste verlief ohne
besondere Zwischenfälle. Wieder in Frankreich hat es uns 15 km vor dem
rettenden Bahnhof Biarritz dann doch noch erwischt. Hinterreifen platt.
Gottseidank hatte ich eine Sprühdose mit Reifenpilot im Gepäck. Ich glaubte
nicht so recht an dieses Wundermittel, und es dauerte auch eine halbe Stunde,
bis der Reifen wieder die Luft hielt. Als wir wieder zuhause ankammen hatte der
Tacho 3850 km mehr auf dem Zähler.
1997: Mit dem Majesty nach Süditalien
Kurz nach diesem unvergeßlichen Urlaub wurde dann ein neues Kapitel meiner
Rollergeschichte aufgeschlagen. Es hieß MAJESTY und begann im August 96. In
einer Kleinanzeige unserer Tageszeitung wurde einer angeboten mit 800 km
Laufleistung, leichtem Unfallschaden, 4 Monate alt. „Ich will keinen neuen
Roller kaufen“, sagte ich meiner Frau, „aber die Chance, einen Majesty mal
unverbindlich probezufahren kriegt man bei meinem Händler nicht.“ Gesagt,
getan. Auf der Heimfahrt in einem Straßencafe stand dann der Entschluß fest.
Es war Freitagabend, die Banken hatten geschlossen und so kratzte ich tausend
Mark zusammen und bot sie als Anzahlung und „hinterlegte“ meinen Hexagon als
Pfand. Stolz wie Oskar rauschte ich mit meiner Neuerwerbung vom Hof. Bis
Sonntagabend hatte ich genausoviele Kilometer gefahren, wie der Vorbesitzer in 4
Monaten. Ob während der Arbeit oder in der Freizeit alles wurde mit dem Majesty
unternommen. Fachmesse in Nürnberg, Wochenendtour nach Ostende, Hausmesse von
Lieferanten in Ludwigsburg, Herne oder Idar-Oberstein, Besuche bei der Tochter
in Osnabrück, so kamen die Kilometer zusammen. Als dann der Sommerurlaub ‘97
geplant wurde fiel unsere Wahl auf Italien. „Einmal den ganzen Stiefel
umrunden“, gab meine Frau vor, und das in nur zwei Wochen! Der Autoreisezug
wurde bis Bozen gebucht. Da wir Norditalien schon mehrfach bereist hatten, ging
es in einem Rutsch am Gardasee vorbei, durch die Poebene, über den Appennin an
die Westküste. Cinque Terre und die Marmorbrüche von Carrara bleiben wohl
unvergessen. Den Schiefen Turm von Pisa zeigte ich meiner Frau von der Autobahn
aus, von Rom sahen wir nur ein Stück des Autobahnrings. Weiter ging es Richtung
Süden auf kleinen Küstenstraßen Richtung Neapel. Die Fahrweise der Italiener
ist sowieso schon für uns Mitteleuropäer gelinde gesagt
gewöhnungs-bedürftig. Was aber zum Feierabend in der City von Neapel loswar,
kann man nicht beschreiben, das muß man erlebt haben. Kampf um jeden Meter,
rote Ampeln wurden völlig ignoriert, genauso wie die hilflos trillernden
Polizisten. Ein ausdauerndes Hupkonzert rundete das Chaos ab. Bei 38 Grad
fühlte man sich wie in der Sauna. In einem guten Hotel (mit Garage), etwas
außerhalb der Stadt, kehrte Ruhe nach dem hektische Tag ein. Am nächsten
Morgen fuhren wir auf den Vesuv. Das letzte Stück muß man zu Fuß auf einem
steilen Pfad über Lavageröll aufsteigen. Der Blick über den Golf von Neapel
und in den Krater, auf die ausgegrabenen Städte Herkulaneum und Pompaji war
allein die Reise wert. Die Fahrt ging weiter entlang dem Golf von Neapel, Capri
nur aus der Ferne und die -nach Ansicht auch der Italiener- schönste Küste des
ganzen Landes, die Costa Amalfitana, mit atemberaubender Ausblicken nach
Salerno. Bei einer Rast auf der Fahrt nach Reggio die Calabria haben wir unseren
Traum begraben, den ganzen Stiefel zu umrunden. “Wir sind im Urlaub, nicht auf
der Flucht,“ hielt ich meiner Frau vor. Quer durchs Land, über Potenza fuhren
wir nach Taranto und schnitten auch noch den Absatz des Stiefels ab, als wir
direkt nach Bari fuhren. Nun ging es an der adriatischen Küste entlang zum
Sporn des Stiefels, die Halbinsel Gargano. Nach einer Übernachtung in Vieste
trieb uns die Unruhe weiter. Einmal haben wir dann in ein und demselben Hotel
zwei Nächte verbracht. Dadurch ergab sich die Gelegenheit zu einer Tagestour
durch den wildesten Teil der Abruzzen. Bei Ancona verließen wir die Küste und
fuhren ins Landesinnere, besichtigten Assisi, das wenig später durch ein
Erdbeben stark zerstört wurde, und fanden zum Abend ein wunderbares Quartier in
Castiglione am Lago Trasimeno. An Florenz vorbei überquerten wir am nächsten
Tag auf kleinen Sträßchen wieder den Appennin. Am Morgen danach stand ein
weiteres Highlight an. Der Besuch im neuerbauten Ferrari-Museum in Maranello.
Was dort geboten wird, ist ein Muß für alle Ferraristi. Technik und Nostalgie
pur. Danach haben wir uns auf die ansonsten verpönte Autostrada begeben und
sind bis in die Nähe von Bozen in die Dolomiten gefahren.
Am letzten Tag vor der Rückreise im Autozug stand als krönender Abschluß noch
die Fahrt über die berühmten Pässe Sellajoch (2244 m), Grödner Joch (2121
m), Campo- longo (1875 m), Pordoi-Paß (2239 m) und Karerpaß (1745 m) auf dem
Programm. Erstaunlich, wie der Majesty mit zwei Personen und Gepäck die
Steigungen und Kehren meisterte. Knapp 4000 km ohne Defekt, abgesehen von der
mal wieder losgeschüttelten Auspuffblende, lagen hinter uns.
1998: Mit dem Majesty nach Kroatien
Die Zeit bis zum nächsten Urlaub verbrachten wir mit vielen Touren in die
nähere und weitere Umgebung. Rhein, Ahr, Mosel, Holland Belgien und Luxemburg
wurden auf Tages- oder Wochenendfahrten „abgeklappert“. Für den
Sommerurlaub ‘98 wurde Kroatien auserkoren. Vor zehn Jahren waren wir zum
letztenmal im ehemaligen Jugoslawien gewesen, damals mit dem Wohnmobil. Von
früher wußten wir auch, daß der Norden ganz schön ist, die Landschaft aber
weiter im Süden unvergleichlich imposanter wird. Daher war unser angepeiltes
Ziel Dubrovnik. Der schon obligatorische Reisezug brachte uns nach Villach. Am
Wörthersee entlang, über Klagenfurt und den Loiblpaß kamen wir nach
Slowenien. Da die kroatische Küste lockte, haben wir eine lange Etappe
eingelegt und waren abends schon in der Nähe von Rijeka. Dann fuhren wir an die
Südspitze von Istrien nach Pula. Eine Fähre sollte uns von dort auf die Insel
Losinj bringen. Da die Fähre erst freitags fuhr, hatten wir drei Tage Zeit, die
Küste und das Landesinnere zu „erfahren“. Nach einer vierstündigen
Seereise und einer Übernachtung in der Inselhauptstadt Mali Losinj erkundeten
wir nur kurz die reichlich kleine Insel und über die Drehbrücke bei Osor
fuhren wir auf die Nachbarinsel Cres. Hier hatten es uns besonders die kleinen
Örtchen an den Küsten angetan, die teilweise nur über recht abenteuerliche
Straßen zu erreichen waren. So fuhren wir z.B. zum Strand von Beli auf einer
derart steilen Straße, daß zwar die Abfahrt gelang, aber der Aufstieg wegen
Sozia und Topcase nicht möglich war. Die Fuhre war so hecklastig, daß sich
beim Anfahrversuch das Vorderrad hob. Meine bessere Hälfte zog einen Fußmarsch
vor. Nach zwei ereignisreichen Tagen verließen wir die Insel per Fähre zur
Nachbarinsel Krk. Wir umkreisten die Insel, fanden aber nicht den Ort, der uns
zum Übernachten animierte und verließen noch spät die Insel über die
mautpflichtige Brücke in Richtung Festland. Auf der Jadranska magistrala, der
Adria-Küstenstraße gings Richtung Süden. Die Stadt Zadar, hier insbesondere
die historische Altstadt war unser nächstes Ziel. Nach zwei Übernachtungen zog
es uns weiter zur Insel Murter, zu der wir ein fast nostalgisches Verhältnis
hatten. Auf dem Campingplatz Kosirina hatten wir einige Male mit dem Wohnmobil
und unseren damals noch kleinen Kindern wundervolle Tage verbracht. Auf den
Felsen am Strand wurden Erinnerungen aufgefrischt. Als wir abends zu unserem
Quartier aufbrachen, sahen wir neben unserem Roller einen Majesty stehen, den
einzigen, den wir in dem dreiwöchigen Urlaub in Kroatien zu Gesicht bekamen.
Überigens auf der Rückreise, etwa eine Woche später, legten wir uns wieder an
den gleichen Strand und sahen den „einzigen“ Majesty Kroatiens wieder neben
unserem stehen. Wir machten von Murter aus noch eine ganztägige Rundfahrt mit
dem Schiff durch die einzigartige Inselwelt der Kornaten, bevor wir über die
Brücke wieder aufs Festland und die Jadranska magistrala fuhren. Die nächste
Übernachtung war in der wunderbar erhaltenen Altstadt von Primosten. Am
darauffolgenden Tag ging es entlang der Makarska Riviera, dem wohl
eindruckvollsten Abschnitt der kroatischen Küste. Zum Abend durchquerten wir
den ca. 15 km langen Küstenabschnitt von Bosnien Herzegowina und erreichten in
der Nacht unser Ziel Dubrownik. Wir ließen uns, wie früher schon, in einem
Restaurant in der historischen Altstadt neppen (es trifft einen schon garnicht
mehr, wenn man es erwartet) und legten unsere müden Knochen im erstbesten
Privatzimmer zur Ruhe. Am nächsten Morgen fanden wir dann das Luxushotel, das
wir uns verdient hatten. Auf einem Felsen hoch über dem Meer gelegen mit Aufzug
zum hoteleigenen Strand, mit schattigen Liegeplätzen, kristallklarem Wasser und
Strandcafe. Man gönnt sich ja sonst nichts! Nach dem Abendessen, diesmal in
unserem Hotel, rollerten wir zum Eingang der Altstadt und machten einen
ausgedehnten Bummel durch diese weltweit einzigartige Stadt.
Auf unserer Rückreise besuchten wir noch die Insel Pag. Sie empfing uns mit der
Bora, einem gefürchteten Sturm, der vom Festland zum Meer weht. Es dauerte fast
eine Stunde, bis ich meine Sozia überredet hatte, über die baufällige Brücke
auf die Insel zu fahren. Wir wollten an einem dem Sturm zugewandten Strand die
Mittagshitze abwarten. Die Kleidung, selbst Stiefel und Helme mußten wir mit
Steinen beschweren, sonst wären sie weggeweht worden. Nach einer Stunde war
alles mit einer Salzkruste überzogen, so hatte der Sturm das Wasser bis aufs
Land gepeitscht. Am nächsten Morgen hatte die Bora noch zugelegt. wir kämpften
uns bis in den Norden der Insel, um mit der Fähre wieder das Festland zu
erreichen. Der Kahn lag festvertäut im windgeschützten Hafen. An Auslaufen sei
nicht zu denken, meinten die Seeleute, nehmt doch die Brücke im Süden, wenn
ihr es so eilig habt. „Es wird wohl nicht so schlimm werden“, tröstete ich
meine Frau. Es wurde schlimmer! Auf gerader Strecke Schräglage bis an die
Haftgrenze der Reifen, Rechtskurven in denen man sich nach links legen mußte
und besonders starke Böen zwangen ganz zum Stillstand. Erst nach vielen Stunden
waren wir auf dem Festland in Höhe der Fähre, die Bora hatte eine Pause
eingelegt, der Fährbetrieb lief wie gewohnt. Durch den langanhaltenden Sturm
war des Wasser der Adria, das vorher mit 25 bis 27 Grad an eine Badewanne
erinnerte, so umgewälzt geworden, daß man einfach nicht mehr schwimmen konnte.
Bei geschätzten 12-15 Grad blieb einem glatt die Luft weg. Die Reise ging dann
problemlos weiter über Rijeka, Ljubljana und Loiblpaß wieder an den
Wörthersee. Das Abenteuer war bestanden. Man verstand wieder die Sprache,
konnte Speisekarten lesen, etwas anderes als Cevapcici bestellen,
österreichische Gastlichkeit genießen und entsprechend teuer bezahlen. Uns
blieb noch ein ganzer Tag in Kärnten, um Faaker See, Ossiacher See und
Klagenfurt zu besichtigen und von der Gerlitzen Alm (mautpflichtig) das Ganze
auch mal von oben zu betrachten.
Mit gewohnter Präzision brachte uns dann die Bahn zurück nach Köln. Wieder
3700 problemlose Kilometer mit dem Majesty. Ein Ölwechsel war fällig, ein
neuer Hinterreifen auch. Für den nächsten Urlaub steht natürlich wieder eine
Rollerreise an. Das Ziel ist sicher nicht der Schwarzwald, siehe oben.
1999: Mit der Burgman ans Nordkapp
Schon zum Jahresende 1998 kristallisierte sich heraus, daß der Sommerurlaub nicht in den sonnigen Süden gehen sollte; wir hatten genug geschwitzt. Irland war im Gespräch, ebenso Schottland. Letzendlich wurde aber Skandinavien auserkoren, da bisher weder meine Frau noch ich jemals in diesen Ländern gewesen war. Wir kauften Reiseführer, studierten Landkarten, und tüftelten an einer Strecken um die 4000 km, die mit einem Hinterreifen auf dem Majesty zu bewältigen wäre. Der von uns so geschätzte Autoreisezug bot leider keine geeignete Strecke an, die uns die öde Autobahnfahrt in den Norden abgenommen hätte. Schließlich stand die Route in groben Umrissen fest: Autobahn bis Lübeck-Travemünde, Fähre nach Helsinki, Umrundung des Bottnischen Meerbusens und auf schwedischer Seite wieder in den Süden. Weiter über Dänemark zurück in die Heimat. Recht früh, schon im Januar, wurde die Schiffspassage gebucht. Der Winter zog sich lange hin, touristische Highlights fehlten, man fuhr wenig.
Dann kam wie aus heiterem Himmel die Sensation: Unser örtliche Suzuki-Händler bot bei seiner Frühjahrsmesse Mitte März die Möglichkeit zu einer Probefahrt mit dem Burgman 400. Nach rund hundert Kilometern bei Wind, Wetter und Kälte, auf Landstraßen und Autobahn, mit und ohne Sozia, wußte ich, daß meine „Liebesbeziehung“ zu meinem Majesty zuende war. Aber was macht man mit der „Verflossenen“ ? Unser Suzuki-Händler lehnte einen Eintausch kategorisch ab. Auf Kleinanzeigen kam geringe Resonanz, trotz des attraktiven Preises von DM 4.400,- für einen drei Jahre alten Majesty 250. Nur als ich dann die Laufleistung von 44.000 km nannte, fiel manchem Interessenten buchstäblich der Hörer aus der Hand. Die Zeit zum Urlaub rückte näher, meine Preisvorstellung war schon bis auf DM 3.500,- gesunken und das Frühlingswetter hatte den Kilometerzähler inzwischen auf knapp 47.000 km ansteigen lassen. In meiner Not klapperte ich dann auswärtige Händler ab, zumal auch noch von Lieferschwierigkeiten für den Burgman 400 gesprochen wurde. Endlich fand ich einen, der zu einem Preis, der mir die Tränen ins Gesicht trieb, meinen Majesty gnädig annahm und mich am 12. Mai mit dem Burgman vom Hof rollern ließ. So machte Rollerfahren Spaß! Endlich nicht mehr die arme Sau auf der Autobahn, endlich lockere Überholvorgänge auf der Landstraße. Nur das Duell an der Ampel behagt ihm nicht, da muß die Gashand gefühlvoll bewegt werden, sonst verschluckt er sich. Nur noch 6 Wochen bis zum Urlaubsstart! Beim Kauf hatte ich schon den Termin für die erste Inspektion gemacht und einen Träger für meinen Givi-Koffer geordert. Zwischenzeitlich wurde die unmögliche Sitzbank geändert und nach dem Allerwertesten meiner Gattin ausgeformt. Ein kleiner Rucksack, an der Sissybar befestigt, diente als Rückenpolster. Der Langstreckensitz war perfekt. Nach 2 Wochen und Pfingsten in Holland waren bei der ersten Inspektion 1500 km auf dem Tacho. Nach 6 Wochen wurde die zweite Inspektion bei 4200 km gemacht. Von meinem Majesty war ich an Reifenwechsel hinten spätestens nach 5000 km gewöhnt. Hier zeigte das Profil noch gar keinen Verschleiß. Wenn das nur gut ging. Am 26. Juni, samstags, starteten wir zur ersten Etappe bis Lüneburg, wo unsere Tochter wohnt, sonntags fuhren wir weiter nach Travemünde, wo das Einchecken zur Fähre um 22.00 Uhr begann. Drei elend lange Stunden sollte es noch dauern, bis wir an Bord gelassen wurden. Diese Stunden nutzten die Mücken, um mich gnadenlos zu zerstechen. Wie würde das erst in Finnland werden! Jeder hatte uns vor dem Urlaub zum Thema Finnland das „Stich“wort Mücken gesagt. Nach 36 Stunden auf der Fähre hatten wir wieder festen Boden unter den Füßen. Helsinki empfing uns mit 29 Grad und hoher Luftfeuchtigkeit. Da war die Hotelsuche nicht nur wegen der Großstadtpreise ganz schön schweißtreibend. Schließlich fanden wir ein Sommerhotel. In diesem Fall war ein Studentenwohnheim während der Semesterferien zum Hotel geworden. Das Frühstück wurde in der Mensa serviert und der Preis war unserem Budget angemessen. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt reizten uns nur bis zum nächsten Mittag, dann hielt mich nichts mehr, ich mußte fahren, fahren, fahren. Abends waren wir schon 300 km nördlich der Hauptstadt inmitten der südfinnischen Seenplatte. Am darauffolgenden Abend und weiteren 450 km hatten wir den nördlichsten Punkt des Bottnischen Meerbusens bei der Stadt Kemi erreicht. Jetzt mußten wir uns entscheiden. Sollten wir nun schon, wie ursprünglich geplant, die Rückreise antreten? Den Nördlichen Polarkreis wollten wir doch wenigstens noch erreichen, um einmal die Mitternachtssonne zu erleben. Entweder spielte das Wetter nicht mit, oder die Mitternachtssonne ist eine Erfindung der Tourismusindustrie, um die Leute ins Land zu locken. Wir haben sie jedenfalls nie gesehen, leider. Rovaniemi, die letzte größere Stadt im Norden erreichten wir gegen Mittag bei strahlendem Sonnenschein und 25 Grad. Nur 8 km nördlich der City verläuft der Polarkreis. Hier befindet sich auf einem riesigen Areal eine ganz besondere Attraktion: Christmas Village. Hier ist das ganze Jahr Weihnachten. Hierher kommen Kinder aus der ganzen Welt, um den leibhaftigen Weihnachtsmann persönlich zu erleben, ihren Wunschzettel persönlich zu überreichen und mit einem Erinnerungsfoto wieder nach Tokio oder San Franzisko zurückzufliegen. In diesem Dorf stand ein Wegweiser, der die Entfernung nach St. Johann in Tirol mit 2448 km, nach Singapore 9394 mit km und zum Nordkap mit 680 km angab. Da war plötzlich das magische Wort NORDKAPP in unserem Kopf und ließ uns nicht mehr los. Noch Stunden später - wir fuhren natürlich Richtung Norden - wurde das Für und Wider diskutiert. Wir hatten den Kampf verloren und wußten es auch im Innersten: Wir würden es uns nie verzeihen jetzt umzukehren. Auf der Fahrt zum Inarisee kamen wir dann in die schon angekündigte Schlechtwetterfront. Für kräftige Adrenalinschübe sorgten die immer wieder unverhofft auftauchenden Rentiere. Nasse Fahrbahn, beschlagenes Visier und dann die Vollbremsung, möglichst noch in der Kurve. Übrigens, nur einen einzigen Elch haben wir zu Gesicht bekommen. Sein Kopf hing gut präpariert über der Rezeption eines Hotels. Das müssen wahrhaft riesige Viecher sein. Als wir an einer Tankstelle vor dem Regen Schutz suchten, stellte ich mich mit dem Burgmann unter das weit ausladende Vordach des Shops, während meine Frau drinnen Kaffee holte. Kaum hatte ich den Helm vom Kopf, kamen alle Mücken der Region, die natürlich auch wußten, wie man sich vor Regen schützt, zu mir und begrüßten mich auf ihre Art. Nachher hatte ich Probleme, den Kopfschutz wieder aufzusetzen. In Ivalo hatte unser Hotelzimmer vor den Fenstern Mückennetze. Von dort starteten wir am Samstag Richtung Norwegen. Die Straße führte kilometerlang schnurgerade durchs Land, durch Täler und über Bergkuppen. Es war schon atemberaubend, was die Straßenbauer da geleistet hatten. An den Kuppen betrug die Sicht manchmal keine 20 Meter. Das war Achterbahnfeeling pur. Hinter dem schlechten Wetter war Polarluft eingeflossen, es wurde eisigkalt. Für dieses Wetter hatten wir einfach keine Kleidung dabei. Nie im Leben habe ich so gefroren wie an diesem Tag. Ab Lakselv fuhren wir am Porsangen-Fjord entlang. Die teilweise schneebedeckten Berge, das Meer und der Himmel waren von unwirklicher Schönheit. Dann ging es auf einer neuen Trasse zu den neuen 7 km und 4 km langen Tunneln zur Insel Magrøya auf der das Nordkap liegt. In Honningsvåg, der einzigen größeren Ortschaft stiegen wir im erstbesten Hotel ab, gruselten uns nur über den Preis und duschten uns wieder warm. Die letzte Etappe von 33 km war dann ein Kinderspiel. Bewundert habe ich etliche Radfahrer, die schwerbepackt diese Tour machten, aber die haben sicherlich nicht so gefroren wie wir. Am Kap war dann der übliche Tourirummel. Viele Busse, noch mehr Wohnmobile und Pkws, einige Motorräder, davon nur sehr wenige aus Deutschland. Roller habe ich hier, wie übrigens auf der gesamten Reise, nie gesehen. Vielleicht kommen die erst wieder im Winter, wenn die Zeit der Weicheier und Warmduscher vorbei ist. Leider hat die Batterie meiner Kamera ausgerechnet am Nordkap den Geist aufgegeben. „Vor fünf Minuten habe ich von diesem Typ die letzte verkauft“, meinte die nette junge Dame im Shop. Das war übrigens der einzige technische Defekt auf der ganzen Reise. Am nächsten Morgen, am Sonntag, versuchte ich noch, in Honningsvåg eine neue Batterie zu bekommen. Aber die Geschäfte waren geschlossen und an der Tankstelle hatte ich auch kein Glück. Wir traten den Heimweg an. Wieder durch die Tunnel und an dem schönen Fjord entlang und dann im Tal des Reppafjordä aufwärts auf eine Hochebene. Kein Baum, kein Strauch, keine Hütte auf dem Weg nach Alta. Wir mußten durch den strömenden Regen weiterfahren. Was kann man sich doch freuen über eine Tankstelle, die Kaffee und Kakao in Pappbechern verkauft! Da wir meinten, nicht die Zeit zu haben, durch Norwegen zurückzufahren, fuhren wir dann hinter Alta ins Landesinnere. Durch die grandiose Schlucht des Altaelv über Kautokeino zur finnischen Grenze. Dabei war wieder Frieren angesagt, schlimmer noch als am Vortag, da immer wieder eisige Schauern niedergingen. Als wir die Grenze passiert hatten, besserten sich das Wetter und unsere Stimmung. In Finnland ging es bergab und in Richtung Süden entlang der finnisch-schwedischen Grenze. Nach längerer Suche fanden wir bei Muenio auf einem Campingplatz in einer Ferienwohnung ein Nachtquartier. Im Campingshop wurden Hüte mit eingebautem Mückennetz verkauft, das man draußen herunterließ und so seinen Kopf wirksam schützte. Wir zogen es vor, von drinnen die vermummten Gestalten zu betrachten. Am folgenden Nachmittag erreichten wir die Grenzstadt Tornio am Bottnischen Meerbusen. Über die Brücke des Torneälv rollerten wir nach Haparanda zu einer längeren Rast. Reiseschecks wurden in Kronen eingewechselt, die Uhr am Handgelenk und am Roller wieder eine Stunde zurückgestellt. Bei einer Tasse Kaffee im Straßencafe wurde Zwischenbilanz gezogen: Wir hatten von Freitagmorgen bis Montagnachmittag als Abstecher von der ursprünglich geplanten Route mal eben einen Trip zum Nordkap gemacht, hatten fast 2000 km zusätzlich zurückgelegt. Mensch und Technik waren wohlauf. Aber drei Tage später nach rund 1500 km entlang der schwedischen Ostseeküste, in Oskarshamn, schon 350 km südlich von Stockholm, gegenüber der Nordspitze Ölands, kam so etwas wie Katzenjammer auf. Wir hatten den grandiosen Norden Skandinaviens durchrast, viel zuwenig gesehen und es tat uns leid, denn unsere drei Wochen Urlaub waren erst gut zur Hälfte vorbei. Von der Kilometerfresserei hatte ich einen „Tennisarm“ im rechten Handgelenk, so beschlossen wir, eine ruhige Woche am Meer einzulegen. Das gelang uns nur mehr schlecht als recht. Zu sehr hatten die Tagesetappen von 500 km unseren Urlaubsrhythmus geprägt. Meiner Frau fiel die Umstellung erheblich leichter als mir. Sie konnte stundenlang am Strand liegen, dösen, lesen, der Brandung lauschen und über andere Badegäste lästern. Sie merkte aber auch, wenn mich die Unrast packte und stieg brav auf ihren Soziussitz, um mit mir noch hundert oder mehr Kilometer durchs Land zu fahren. Zweimal, in Kalmar und in Lund haben wir sogar jeweils in ein und demselben Hotel eine weitere Nacht gebucht. Das war uns bei all unseren Touren noch nie „passiert“. In Kalmar besichtigten wir das Schloß mit seinen vielen unglaublich aufwendig ausgestatten Räumen. Eine Bernstein-Ausstellung mit erlesenen Museumsstücken wurde diesen Sommer dort dem interessierten Publikum gezeigt. Die 6 km lange Brücke über den Kalmar Sund brachte uns (mehrmals) nach Öland. Hier war die düstere Ruine des Borgholm Schlosses die passende Kulisse für die Weltausstellung des Glases. Es ist schon erstaunlich, was begabte Künstler aus Glas erschaffen. Im Schloß Solliden, ganz in der Nähe, verbringt die königliche Familie üblicherweise ihren Sommerurlaub. Ströme von Touris zogen durch den Park und wollten sehen, wie Königs so leben. Wir haben nur die Wachsoldaten gesehen. Entweder hielten die hohen Herrschaften Siesta oder waren ausgeflogen. Von unserem zweiten „Basislager“ Lund, besichtigten wir Malmö und am späten Nachmittag fanden wir einen einsamen Strand auf der Halbinsel Skanör. Am nächsten Tag bei der Überfahrt nach Kopenhagen konnten wir die fast fertige Brücke über den Öresund unterqueren. Ein grandioses Bauwerk wird bald den Fährbetrieb hier ablösen. Übrigens, Kopenhagen ist einen längeren Urlaub wert. Der Nachmittag in dieser quirligen Stadt gehört zu unseren schönsten Urlaubserinnerungen. Zum Abend fuhren wir noch bis zum Fährhafen Rødbyhavn, wo das Hotel fatal an Honnigvåg erinnerte: Das Preis-Leistungsverhältnis war mit mangelhaft zu bewerten. Die Pizza im Schnellimbiß und das Glas Bier dazu setzten dem ganzen die Krone auf und zog mir die Kronen aus der Tasche. Wenigstens war das Frühstück im Hotel so hervorragend und reichlich wie in ganz Skandinavien. Am nächsten Morgen setzen wir nach Puttgarden auf Fehmarn über und hängten uns auf die Autobahn Richtung Heimat. Der sehenswerten Bremer Innenstadt widmeten wir noch einen Nachmittag und schossen das obligatorische Foto mit den Bremer Stadtmusikanten. Die letzte Nacht der Reise verbrachten wir in dem romantischen Tecklenburg, nördlich von Münster. Nach drei Wochen und 6.500 km ohne irgendeine Panne hatte uns die Heimat wieder. Der Burgman hatte die Reise abgespult wie ein Uhrwerk. Der Hinterreifen wurde bei der fälligen Inspektion bei Kilometerstand 11.200 gleich mitgewechselt, obwohl er wirklich noch nicht blank war. Und wenn wir hierzulande schonmal in Sauwetter geraten, dann wissen wir, wer am Nordkap war, der ist ganz andere Sachen gewöhnt.
Bruno Schiffer Am Adenauerpark 38 52351 Dueren
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